CD
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Texte
Die KRINOLINE BLASMUSIK, wurde für diese Aufnahmen um die 90-jährigen Zwillinge und Flügelhornisten Sepp und Franz (der ältere!) Schmid zusammengestellt, weil die beiden noch eine ganz eigene Art des langsamen, weichen, bayrischen Blasmusikspiels verkörpern. Dabei sind außerdem Franz Fürst (58), Tenorhorn, Sepp Preis (51) an der Tuba und Sigi Kaiser (60), Tenorhorn.
Perfektion steht bei dieser Produktion, die live ohne Publikum aufgenommen wurde, nicht im Vordergrund. Entscheidend sind Groove, Innigkeit und Entspanntheit der Musiker. Deshalb haben wir auch kleine musikalische "Unsauberkeiten" auf der Aufnahme gelassen. Das sind die "Bavarian Bluenotes".
Prost & Servus
HP Falkner & Hias Schaschko
Die Krinoline
Die Krinoline und damit auch die mit ihr verbundene Blaskapelle, gehört zu den wenigen wirklich stabilen Einrichtungen, auf die sich die sogenannte "traditionelle Wiesn" berufen kann.
Die walzernde Plattform des Karussells erinnert in ihren Bewegung an die "Krinoline", den schwingenden Reif-rock der feinen Damenwelt der Jahre um 1860. Oder an ein auf den Wellen tanzendes Schiff. Anfang des 20. Jahrhunderts waren Krinoline-Fahrgeschäfte auf vielen Festplätzen ein beliebtes Amusement. Aus dieser Zeit hat sich nur die Krinoline des Oktoberfestes erhalten. Der Schausteller Michael Großmann hatte sie 1924 dort zum ersten Mal aufgestellt. Zunächst wurde die Plattform der Krinoline von vier Mann händisch schutzend in Schwung gebracht. Durch eine Erfindung, die Großmann selbst gemacht hat, konnte er ab 1937 seine Krinoline elektromechanisch antreiben. Dieser raffinierte Antrieb mittels Excenter und starken Federn läßt sich noch heute im oberen Teil des Mastes bewundern. Als zusätzliche Attraktion ließ Großmann 1938 eine Blasmusik aufspielen, für die er an der Außenwand des Karussells einen kleinen Balkon anbaute. Die Blasmusik war insofern außergewöhnlich, weil damals die Karusselle, Riesen-räder und Schiffschaukeln üblicherweise von den Klängen der Schaustellerorgeln begleitet wurden.
Auch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Großmanns Schaustellerkollegen auf die nun aktuelle Schallplatten- und Tonbandmusik wechselten, ließ Großmann seine Blaskapelle weiterspielen. Dieser Traditionen blieb auch Großmanns Frau nach seinem Tod im Jahr 1961 treu. Die Münchner nannten sie liebevoll "Krinoline-Oma". Heute wird das Karusell vom Enkel Theo Niederländer betreut. Jahr um Jahr baut er es von Neuem mit viel Liebe und Engagement auf dem Oktoberfest auf und engagiert traditionsgemäß die Blaskapelle.
Wir spielen keine Volksmusik, wir spielen Biermusik!
Die Besetzung der Fünf-Mann-Kapelle besteht aus zwei Flügelhörnern und einem Tenorhorn, den "Trägern der Melodie". Baßtrompete und Tuba sind "die Maschine von der Musik". Die Mitglieder wechselten natürlich im Laufe der Jahre, sie stammen aber alle aus dem Münchner Raum und sind meist erfahrene Bierzeltmusikanten.
"Wir spielen keine Volksmusik, wir spielen Biermusik!"
Zur Zeit teilen sich zwölf Musiker, die überwiegend von der "Aubinger Dorfmusik" kommen, die Arbeit auf dem Krinoline-Balkon. Im Gegensatz zu einer streng organisierten Kapelle gibt es keinen Leiter: Anschaffen tut der jeweilige erste Flügelhornist. "Wenn der runter geht, dann wissen wir, daß es aufhört." Und der Stillstand des Karussells dirigiert der Kapelle dann endgültig den oft abrupten Schluß der Musik.
Die Namensgebung der Kapelle reicht von "Krinoline-Kapelle" über "Original Krinolinen-Musik" bis "I spui auf da Krinoline". Gespielt wird in zwei Schichten: Von 15.00 bis 19.00 Uhr und von 19.00 bis 23.00 Uhr. Von Mittag an, bis zum Beginn der Livemusik, spielt Karusellbetreiber Theo Niederländer Blasmusik vom Tonband.
Wenn die Kapelle aber dann in Aktion tritt, ist ihre Aufgabe keine leichte, obwohl die Musiker kleine Pausen einlegen, während die Fahrgäste ihre Plätze einnehmen: "Im Bierzelt, wenn oana amoi huast oder aufs Clo geh muaß, do konna geh. Bei fünf Mann kannst net weggeh, sonst duat se nix!"
Der Kontakt zwischen Musikern und Fahrgästen ergibt sich ganz unkompliziert durch die Nähe des Balkons zum Karussel. So können sich die Fahrgäste, meist über viele Jahre hin treue Krinoline-Fans, sogar ihren musikalischen Lieblingstitel von der Kapelle wünschen, für den sie dann aber einen Obulus leisten sollten. Zu den meist gespielten Stücken des Repertoirs gehören der "Liebes-botenmarsch" (# 3) und "Schön ist so ein Ringelspiel" (#10). Beim "Ringelspiel-Lied" zeigt sich auf's Feinste, wie das Schwingen der Krinoline mit dem Takt der Blasmusik harmoniert!
Alle Musiker zu nennen, die im Laufe der Jahrzehnte auf diesem winzigen Balkon der Krinoline Platz genommen haben, würde den Rahmen hier sprengen. Besonders erwähnt aber seien die 1910 geborenen Zwillinge Sepp und Franz Schmid.
Die derzeit ältesten Münchner Zwillinge blasen die beiden Flügelhörner. Seit gut 20 Jahren gehören sie zum Stamm der Krinoline-Kapelle. Vor dieser Zeit haben sie jahrzehntelang als Bierzeltmusiker auf dem Oktoberfest gespielt: Im "Armbrustschützen"-, "Löwenbräu"- und "Augustiner-Zelt", bei der "Fischer Vroni", in der "Ochsenbraterei", beim "Winzerer Fähndl" und in der "Bräurosl".
Lang lebe die Krinoline als traditionelles Oktoberfest-Karussell! Und lang lebe diese Kapelle, die eigentlich keinen richtigen Namen hat! Und dabei sollte es bleiben!
Florian Dering
Presseausschnitte
süddeutsche zeitung
SZ vom 21.09.2000 Münchner Kultur
Das Herz von der ganzen Wiesn
Der Schriftsteller Franz Dobler über die Krinoline, ihre Blasmusik und ihre erste CD
Am dritten Wiesnabend um halb Sechs wird’s spannend an der Krinoline, dem ältesten Fahrgeschäft auf dem Oktoberfest. Sechs Polizisten kommen zum Karussell gerauscht, und ein Schwung Medienleute ist auch da. Fotoausrüstungen, Fernsehkameras. Was wird denn jetzt hier wieder gespielt? Kommt der Stoiber? Der Haider? Oder beide zusammen?!
Warum nicht ? aber jetzt nicht. Die eine Truppe redet ein paar ernste Takte mit einigen jungen Burschen, denen das böse Wiesnkoks weniger geschadet hätte als die hiesige Lieblingsdroge. Und die andere Truppe hat die fünf Musiker der Krinoline Blaskapelle im Visier. Denn die kann in ihrem 63. Jahr ihre erste CD präsentieren: "Biermusik!" Der Titel kommt vom Tenorhornisten Franz Fürst: "Wir spielen keine Volksmusik, wir spielen Biermusik!" Eben, wo doch die Wiesnvolksmusik bei all den Alpenyuppies gut aufgehoben ist, mit deren Spielen und Trachten die Krinoline-Combo etwa so viel zu tun hat wie ein Vilsmaier-Film mit einem von Achternbusch. Oder das Karussell mit dem riesigen Olympia-Looping, vor dem es aufgebaut ist; wie der Hightec-Maschine zum Fraß vorgeworfen schaut’s aus der Entfernung aus. Aber es ist unwahrscheinlich, dass das tolle Ding die gemächliche Attraktion seit 1924 überleben wird. Gemächlich? Vorsicht. Das Drehen und dabei Schaukeln hat’s in sich, wie die Krinoline eben, der "schwingende Reifrock der feinen Damenwelt um 1860". In Begleitung der so unmilitärisch klingenden Kapelle, die in einem an der Außenwand befestigten Kabuff sitzt und die man beim Fahren ständig lauter und wieder leiser hört, entsteht eins der schönsten mir bekannten Gefühle.
Die Brüder Sepp und Franz Schmid stehen im Mittelpunkt des Abends, denn die beiden Flügelhornisten sind nicht nur die Seele der Kapelle. Allein dies ist schon eine kräftige Lokalmeldung: Die ältesten Münchner Zwillinge ? mit 90 das erste Album! Die langjährigsten Wiesnmusiker sind sie sowieso. Seit der ersten Nachkriegszeit haben sie sich durch fast alle Bierzelte gespielt, ehe sie vor bald 30 Jahren in die Krinolinen-Band eingestiegen sind, und damit entkommen dem "ganzen Rauch und Radau" und auch dem Dirigenten ? so eng ist es, dass die Drehscheibe, wenn sie am Höchsten schwingt, ihm glatt den Kopf abschneiden würde, so nah sind die Fahrer den Musikern. Die "Schmid Buam" stellen sich für die Fotografen auf. Sie sind stolz, sie freuen sich wie die Schneekönige und sie strahlen so viel Würde aus, dass die Wiesn für eine Minute verstummen müsste. Wir möchten nicht glauben, dass das ihre letzte Saison sein soll.
Diese Musik "strahlt einen geradezu exotischen Reiz aus", bescheinigte sogar die Sänger- und Musikantenzeitung. Weil eine fünfköpfige Blasmusik eine schön abgespeckte, verfremdete Blaskapelle ist und somit auch der letzte Gassenhauer neu und ungewohnt klingt, speziell für’s Quintett arrangiert. Die schmale Besetzung hat sich aus Platz- und Finanzgründen ergeben, und ihr Sound aus der Notwendigkeit, sich der eleganten Karussell-Bewegung anzupassen: Die Musik ist weich und gefühlvoll, eigentlich nicht weiter weg von Swingjazz als von Blaskapellenmusik, deren Zackiges und Marschierendes verbannt wurde. Das gehört zur großen Schmachtfetzenmusik, so in der Mitte zwischen Mariachi und finnischem Tango. Wenn’s einen echt bayerischen Soul gibt ? das muss er sein.
Der Groove des Karussells
Vor allem die Schmid-Brüder stehen für diesen einzigartigen Klang, und deshalb hat die Plattenfirma Fischrecords für die CD die Kapelle um sie herum gebildet (vom Krinoline-Stamm sind die Tenorhornisten Franz Fürst und Sigi Kaiser dabei und an der Tuba Sepp Preis). Im Tumult am Karussell kann der Musik nie die ganze Aufmerksamkeit gehören, und so ist das Album (das am Fahrgeschäft sinnigerweise nicht verkauft werden darf) mehr als nur ein Souvenir, ohne Publikum, aber live, an zwei Tagen im Studio eingespielt. Im Begleitheft entdeckt man Worte wie "Groove" und "Bavarian Bluenotes" ("kleine musikalische Unsauberkeiten", die im Interesse eines blitzsauberen Gesamteindrucks nicht weggesäubert wurden); das ist ungewöhnlich für eine Platte mit Volks-, pardon Biermusik, und es stellt sich die Frage, wer das endlich einmal dokumentiert hat.
Wird schon kein Zufall sein, dass Fischrecords nur eine Art Bastard der Volksmusik-Szene ist. Dahinter stecken Hans-Peter Falkner, bekannt als Ziehharmoniker des heftigen Linzer Duos Attwenger ("wir probieren gerade neue Songs"), der andererseits mit astreiner Volksmusik aufgewachsen ist und sie mit seinen Eltern schon lange spielt; und zweitens Hias Schaschko, Münchner Postkartenverleger, Grafiker, "Intim-DJ", Musikherausgeber und seit vielen Jahren Krinoline-Fan. Er hatte schon die Fäden gezogen, als die Krinoline-Band 1992 bei einem Attwenger-Konzert den Anheizer machte. Es ist ihre siebte CD mit alpenländischer Rootsmusic. Dokumente, aufgenommen, ehe sie zwischen den Blöcken porentief reine Museumsvolksmusik und Volksballermann womöglich verschwunden sind.
Während die zweite Schicht der Krinoline-Blaskapelle zu arbeiten anfängt, steigt im Hinterhof eine kleine Feier, eingeklemmt zwischen Karussell und rasendem Looping. Kein Außenstehender käme beim Anblick der Gäste auf die Idee, dass hier die Herzkapelle der Wiesn geehrt wird, und andererseits fehlen die bei 2Release Parties" üblichen Angebergestalten. Die Bewirtung ist optimal, Augustiner vom Fass und Brezen. Karussell-Chef Theo Niederländer, der Enkel des Begründers, der dieses Unikum nur einmal im Jahr mit Liebe zum Detail aufbaut, hält bescheiden eine kurze Rede, und die von Schaschko ist ganz kurz. Kein Getue, keine Scheinwerfer, und Musiker mit sonnigem Gesicht. Neben der Musik ist es das, was alle an diesem Album Beteiligten verbindet: nirgendwo ist was Aufgemotztes im Spiel. An diesem Ort.
Die Aufgänge zum Karussell sind schwer belagert. Erwachsene vier, Kinder drei Mark (Verliebte frei, das fehlt noch). Die Welt dreht sich und man erkennt doch alles genau auf der leuchtenden Wiesn. So sieht sie gut aus. Und die Krinoline Blaskapelle spielt "La Paloma". Wem jetzt das Herz nicht brennt, der hat nur eins aus Lebkuchen.
(Die CD "Biermusik!" gibt’s im Fachhandel, Vertrieb Indigo/Hoanzl, die Live-Musik täglich von 15 bis 23 Uhr auf der Wiesn.)
FRANZ DOBLER