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1500 Gstanzln aus Wien und Umgeben
Gstanzln reimen und singen war früher ein wesentlicher Bestandteil der heimischen ländlichen Volkskultur, entstanden aus dem heiteren Wettstreit der Burschen im geselligen Beisammensein, durch scherzhafte und spöttische Strophen wurden die rivalisierenden Sänger zur gereimten Antwort herausgefordert. Manche davon waren selbst erfunden, andere stammten aus der Überlieferung und waren Allgemeingut, die je nach Region in verschiedenen Varianten gesungen wurde.
In Wien bedienten sich die Volkssänger des 19. Jahrhunderts immer schon dieser Form, um ihre humorvollen, spöttischen und auch zeitkritischen Aussagen zu vermitteln. Zunächst waren es die Veranstaltungssäle der Vorstadtwirtshäuser, später dann die Tingel-Tangel-Bühnen, die Vergnügungs-Etablissements, Singspielhallen und Varietétheater, in denen die Volkssänger, die Lokalsängerinnen, Brettlprimadonnen, Gesangskomiker oder Vortragssoubretten ihre Lieder, Duette, Couplets und Gstanzln vortrugen. Die Gstanzln hatten auch in den Volksstücken der Wiener Theaterbühnen ihren traditionellen Platz. Die Volksmusikensembles der Heurigenlokale in den Vororten hatten schließlich neben den instrumentalen Ländlern, Tänzen und Märschen auch sehr publikumswirksame Gesangseinlagen anzubieten. Zu den Duettisten, Jodlern oder Walzersängern gab es meist auch einen Stegreifsänger oder einen Heurigenkomiker, zu dessen Repertoire auch selbst erfundenen oder überlieferten Gstanzln zählten.
Die typischen Merkmale der Gstanzln aus Wien
Grundprinzip aller Gstanzln ist die einfache, meist vierzeilige Strophenform. Manchmal genügen bereits zwei Zeilen, um einen Gedanken auszudrücken, in anderen Fällen ist es sinnvoll, eine Strophe auf acht Zeilen auszuweiten. Die Wiener Gstanzln bringen zahlreiche weitere Varianten ins Spiel. Manchmal ist eine fünfte Zeile angeschlossen, dann wieder wird ein einzelnes Wort oder eine kurze Wortgruppe angehängt, oder eine Strophe wird durch Wiederholungen auf sechs Zeilen verlängert.
Einschübe von kurzen Jodlerphrasen oder angeschlossene Jodlerteile sind weitere Verlängerungen, die den oftmals verwendeten Begriff „Vierzeiler“ von dem Begriff „Gstanzl“ unterscheiden.
Der Terminus „Gstanzl“ wurde in Wien immer sehr unterschiedlich angewendet. Es ist in Einzelfällen schwierig, die Gstanzlform von anderen Liedtypen abzugrenzen, daher darf es nicht irritieren, wenn manche Lieder, aber auch Liederpotpourris oder Couplets als Gstanzln betitelt sind.
So sind sich Gstanzln und Couplets in ihren Inhalten sehr ähnlich, sie versuchen die Tagesereignisse zu kommentieren, sich über die Schwächen der Mitmenschen lustig zu machen und kritische Standpunkte zu den Missständen ihrer Zeit zu beziehen. Womit die Autoren und Interpreten einen kreativen, eigenständigen Beitrag über die bloße Wiedergabe von überliefertem Material hinaus leisteten.
Die musikalische Grundlage der meisten Gstanzln ist eine Ländlermelodie im 3/4-Takt mit einfachen Basisharmonien. Grundsätzlich würden einige wenige melodische Grundmuster genügen, um fast alle Gstanzlstrophen zu singen. Jedoch haben gerade die Wiener Interpreten immer wieder neue Melodien zu ihren Versen erfunden oder zumindest eigene Varianten zu traditionellen Melodien geschaffen, und auch geradtaktige Formen gehören zu den Standardmelodien Wiener Gstanzln.
Zur CD „1500 Gstanzln aus Wien und Umgeben“
Es wird nur einen kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt des Gstanzlsingens präsentiert, sie gibt einen nachhaltigen Eindruck vom Vortragsstil der Gstanzlsänger aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Es dominieren die Natursänger der vorwiegend in den Heurigenlokalen tätigen Volksmusik-Ensembles.
So war Max Jauner (Titel Nr. 1 auf der CD) einer der bekanntesten Liedsänger und Jodler der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg im Ensemble „D’ Grinzinger“. Karl Huber (Titel Nr. 3, 16) gehörte gemeinsam mit seinem Duettpartner Franz Wolfert zunächst im Butschetty-Quartett und später im Lenz-Quartett zu den beliebtesten Wienerliedsängern jener Jahre. Franz Niernsee (Titel Nr. 14), ebenfalls lange Jahre im Ensemble des Lenz-Quartetts tätig, hat als Solist und mit verschiedenen Duettpartnern wahrscheinlich die meisten Schallplatten aller Wienerliedinterpreten aufgenommen, wobei seine Duette mit Karoline Müller, genannt „D’ Müllerin“, (Titel Nr. 21) zu den interessantesten und vielseitigsten Dokumenten des wienerischen Volksgesanges zählen. Karoline Müller ist ident mit Karoline Frank, die wir auf einem Titel im Duett mit Toni Frank (Titel Nr. 15) hören. Die Brüder Rudolf, Fritz und Gustav Kleber waren die Sänger des Ensembles „D’ Praterspatzen“ (Titel Nr. 6), die Gebrüder Breier (Carl und August) waren die Duettisten des Neuwirth-Quartetts (Titel Nr. 7, 13). Die Bezeichnung „Gebrüder Matauschek“ steht schließlich für ein Ensemble, in dem neben den Brüdern Hans, Fritz und Karl Matauschek auch andere Sänger, wie z. B. Leopold Schutzbier, tätig waren (Titel Nr. 5, 8). Das „Matauschek-Ensemble“ ist eine Gruppe um Fritz Matauschek mit den Duettisten Karl Wild und Franz Ecker (Titel Nr. 2). Während alle diese Interpreten den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg hatten, gehören die beiden Duettpartner Rudi Hermann und Edi Stadler, in unserem Beispiel verstärkt durch den Jodler Friedrich Schott, (Titel Nr. 19) zu den besten Wienerliedsängern der zwanziger und dreißiger Jahre.
An sich war die Darbietung von Gstanzln weniger eine Angelegenheit der Liedersänger und Jodler als vielmehr der Heurigenkomiker oder Gesangshumoristen. Dass uns trotzdem die meisten Gstanzlaufnahmen von den populären Sängern und Duettisten als eine Art Nebenprodukt ihrer Aufnahmesitzungen überliefert sind, liegt wohl daran, dass die Humoristen weit weniger die Beachtung der Plattenproduzenten fanden. In diese Gruppe gehören wohl der „Fiakerwickerl“, dessen Identität uns nicht bekannt ist (Titel Nr. 12), sowie auch Robert Heller (Titel Nr. 22) und Ernst Renner (Titel Nr. 24), vor allem aber Franz Mika, einer der populärsten Volksunterhalter der Zwischenkriegszeit, der zusammen mit seinem Partner Karl Drechsler vor allem auf den Volksbühnen und in den Wirtshäusern der Außenbezirke Wiens sein dankbares Publikum fand (Titel Nr. 10, 11, 18, 20). Er war damit sowohl im Repertoire als auch im Vortragsstil einer der Nachfolger der Volkssänger. Ähnliches gilt, wenn auch in einem anderen Milieu, für einige der frühen Varietéstars, von denen uns vor allem Hansi Führer (Titel Nr. 4) durch zahlreiche Schallplattenaufnahmen bekannt geblieben ist. Insbesondere wurden aber die Volkssänger in ihrer gesellschaftlichen Funktion von den wienerischen Kabarettisten abgelöst, die auf unserer CD durch den Sänger und Komiker Armin Berg (Titel Nr. 9, 17, 25) vertreten sind.